Es ist ein Mittwochmorgen im Oktober. Während ihre ehemaligen
Kollegen aus Hamburg im morgendlichen Berufsverkehr feststecken,
sitzt Sarah an ihrem Laptop – mit Blick auf die Kreidefelsen von Rügen.
Die frühere Key Account Managerin hat ihr Büro gegen ein möbliertes
Apartment in Binz getauscht. Drei Monate Ostsee, dann vielleicht
Lissabon für den Winter, danach mal sehen. Das ist kein Urlaub. Das ist
Sarahs neues Leben geworden – ein Leben, in dem Küsten nicht nur
Urlaubsziele sind, sondern Arbeitsorte mit Meerblick.
Wenn der Arbeitsort zur freien Wahl wird
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Rügen zum Hotspot für digitale
Nomaden wird? Die Ostseeinsel, traditionell Sehnsuchtsort für
Sommerurlauber, erlebt eine stille Revolution. In den Wintermonaten,
wenn die Touristen verschwunden sind, kommen sie: junge Berufstätige
mit Laptop und Flexibilität, die schnelles Internet brauchen und Meerluft
wollen. Ein Flug Lissabon ist schnell gebucht, wenn die deutschen Winter
zu grau werden, doch viele entdecken, dass auch die heimischen Küsten
ihren Reiz haben – zumindest für ein paar Monate im Jahr.
Die Grenzen zwischen Reisen, Leben und Arbeiten verschwimmen
zunehmend. Menschen zwischen 25 und 45 Jahren entwickeln einen
Lifestyle, der sich nicht in klassische Kategorien pressen lässt. Sie sind
weder Touristen noch klassische Auswanderer. Sie sind Remote Worker,
die verstanden haben, dass Lebensqualität und produktive Arbeit keine
Gegensätze sein müssen – egal ob an der Ostsee oder am Atlantik.
Rügen im Winter, Portugal im Frühling
Die neue Mobilität hat ihre eigenen Rhythmen entwickelt. Viele
verbringen den Sommer und Herbst in Deutschland – Rügen, Sylt oder
die mecklenburgische Seenplatte bieten ideale Bedingungen für
konzentriertes Arbeiten ohne Großstadttrubel. Die
Lebenshaltungskosten sind moderat, die Natur spektakulär, und in vielen
Küstenorten hat sich mittlerweile eine kleine Community von
Gleichgesinnten gebildet.
Wenn dann im November der Nebel kommt und die Tage kürzer werden,
zieht es viele gen Süden. Portugal hat sich dabei als ideales
Winterquartier etabliert. Lissabon, Porto oder die Algarve bieten, was
deutsche Winter nicht haben: Sonne, milde Temperaturen und eine
internationale Community. In den Coworking-Spaces hört man ein
Sprachengemisch aus Englisch, Deutsch, Französisch und natürlich
Portugiesisch. Amerikaner fliehen vor politischer Polarisierung, Europäer
suchen nach mehr Vitamin D und bezahlbarem Wohnraum.
Mehr als nur schöne Kulissen
Dieser Lifestyle ist kein Dauerurlaub, auch wenn es von außen so wirken
mag. Die Arbeit bleibt real und die Deadlines auch. Der Unterschied liegt
in der Umgebung: Statt Großraumbüro gibt es Meerblick. Statt
Kantinenessen frischen Fisch oder regionale Küche. Die Mittagspause
am Strand oder ein Spaziergang durch alte Gassen ersetzt das Scrollen
durch Social Media.
Die Herausforderung ist die Selbstdisziplin. Wenn jeden Tag theoretisch
Entdeckungstag sein könnte, braucht man klare Strukturen. Viele
etablieren feste Arbeitszeiten, mieten Plätze in Coworking-Spaces oder
suchen sich Stammcafés. Orte wie das „Coconat“ auf Rügen oder die
zahlreichen Workspaces in Lissabon bieten genau das: professionelle
Infrastruktur mit Community-Anschluss.
Die emotionale Achterbahn
Zwischen Küsten zu pendeln bedeutet auch, zwischen Welten zu leben.
Alte Freundschaften verändern sich, wenn man nicht mehr spontan zum
Kaffee vorbeikommen kann. Neue Bekanntschaften sind oft flüchtig –
andere Nomaden ziehen weiter, ändern ihre Routen. Das kann einsam
machen, aber auch befreiend wirken. Man lernt, intensiver im Moment zu
leben und Beziehungen bewusster zu gestalten.
Eine neue Definition von Zuhause
Der Lifestyle zwischen Küsten ist kein Entweder-oder mehr. Man muss
nicht komplett auswandern oder für immer reisen. Die Schönheit liegt in
der Flexibilität: drei Monate Rügen, vier Monate Portugal, dann vielleicht
zurück nach Deutschland oder weiter nach Spanien. Man kann
ausprobieren, anpassen, verändern.
Titelbild (c) Unsplash








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